F.A.Kirsten- Ein sächsicher Kutschenbauer in Rapsted

Aus den Original dänischen Erinnerungen ins Deutsche übersetzt von Kirsten Kirsten. Den Originaltext findet ihr auf dieser Homepage oder unter ravstedlokalhistorie.dk

Quelle: http://www.ravstedlokalhistorie.dk/

 

Da der Wagenbauer F.A. Kirsten aus Rapsted um die 80 Jahre alt war, schlug sein Sohn, der Schulinspektor Johann Kirsten aus Holbæk vor 20 Jahren vor, die Zeit zu nutzen und seine Erinnerungen aufzuschreiben. Eines Tages erhielt der Sohn ein Heft vollgeschrieben auf Deutsch in gotischer Schrift.

Schulinspektor Kirsten (*Anm: Schulinspektor  in der Pionierschule Østre Skole in Holbæk-Nordseeland von 1957-1972) hat die Erinnerungen seines Vaters aus Kindheit und späteren Mannesjahren übersetzt und sie geben ein gutes Bild von dem wider, wie ein Handwerker in Zeiten bis zum ersten Weltkrieg mit Verschleiß und Arbeitsfreude zu Wohlstand und Ehre kommen konnte.

 

 

Meine Eltern lebten bis 1840 in Steinbach bei den Eltern meiner Mutter. 
Ich wurde als siebtes Kind geboren. Nach mir kamen noch Theresa und Max.
Ich war der vierte Sohn, Max der 5. (Anm.d.Verfassers: der 5.Sohn war Friedrich Ernst, geboren 15.11.1866 in Steinbach. Er war das 8.eheliche Kind.) Die Geburt des Max Kirsten muss in einem anderen Kirchenbuch vermerkt sein

Die Schwestern Christel (1.Kind und 1.Tochter Christiane, geb.25.12.1850 in Steinbach), Minna (3.Kind Hanna Wilhelmine, geboren 09.12.1854 in Steinbach) Emilie (5.Kind Johanne Emilie, geboren 24.06.1859 in Steinbach und
Theresa (*Anm:9.Kind Johanne Therese, geboren 21.05.1868 in Steinbach) starb vor vielen Jahren.

Mein ältester Bruder Hermann ( 2.Kind Friedrich Hermann, geboren 29.10.1852 in Steinbach) starb 1907 oder 1908.

Mein Bruder Heinrich (4.Kind Carl Heinrich, geboren 16.02.1857 in Steinbach) in Bitterfeld ist jetzt Februar 83
oder 84 Jahre alt.

Über Friedrich Johann in Amerika weiß ich nicht, ob er noch am Leben ist, seit dem Krieg habe ich nichts mehr von ihm gehört (*Anmerkung d.Verfassers: Er starb 1950 in Philadelphia, Pennsylvania, Amerika).
Max lebt in Reinbek bei Hamburg. (*Anmerkung d.Verfassers: Max Kirsten konnte bisher nicht ausfindig gemacht werden).

Wir waren neun Geschwister. Vater arbeitete im Sommer in einem
Steinbruch im Winter machte er vor allem Steine. Ich kann
vorstellen, dass es für die Eltern nicht leicht gewesen war eine solche große Familie zu ernähren. Vater hatte bis spät in die Nacht Steinblöcke geschnitten.

Ich habe noch nie gehört, dass Vater und Mutter sich gestritten haben oder uneinig waren.
Sie waren mit dem wenigen was sie hatten zufrieden.

 

1870, als ich 6 Jahre alt war, kaufte mein Vater ein kleines Haus in Leipzig.

(* Anmerkung: Die Familie muss in der Nähe von Leipzig gelebt haben, einen Eintrag über die Familie wurde im Leipziger Archiv nicht gefunden.)

 

Also zogen wir in die Stadt, es war in der Nachkriegszeit (*Anm. Deutsch-Französischer Krieg 1870/71). Im Winter habe ich Kinderschlitten im Akkord für meinen Herrn hergestellt und bekam zwei Mark je Stück. Ich hatte so viel Geld gespart, dass ich einen maßgeschneiderten Anzug kaufen konnte. Das freute auch meine Eltern.

Es war ein schwierige Zeit für meine Eltern. Wir und mehrere Familien wurden durch eine schreckliche Krankheit, die schwarzen Pocken infiziert. Meine Schwestern Theresa und Emilie
war am stärksten betroffen. Ich wurde auch angegriffen, aber nicht so schlimm.
Während der Krankheit hatte uns kein Mensch besucht. Nach der
Krankheit waren die Gesichter meiner Schwestern durch schiere kleine Narben entstellt.

 

Ich war ungefähr 9 oder 10 Jahre, da baute ich Drachen. Der Wind war im Herbst immer sehr gut und da sie sich immer gut in den Lüften hielten, verkaufte ich sie an Schulkameraden für 30 Pfennige das Stück. Hatte ich einen verkauft, machte ich sofort einen neuen für mich.

Als ich älter wurde half ich oft im Steinbruch mit, fuhr Kies und Steine in einer Schubkarre umher, welche für den Straßenbau gebraucht wurden. Doch das wurde zu schwer für mich, da ich klein und nicht sehr stark war. Deshalb wurde ich auch immer „Der Kleine“ gerufen.

 

1878 wurde ich konfirmiert und kam, weil ich Lust dazu hatte als Kutschenbauer bei Kutschenbauer Teichmann in Leipzig

(Anmerkung d.Verfassers: Wahrscheinlich war Teichmann ein kleiner Betrieb. Siehe auch Link http://www.tradition-fahrkunst.de/wagenbauerliste.php) in die Lehre. Nach einer festgesetzten Lehrzeit von 3 ½ Jahren hatte ich am Michaelistag (29.09.)1881 ausgelernt. 

  

Er hätte Schneider werden sollen

 

Aller Anfang ist schwer und so begann mein Kampf mit dem Leben.

Ich war ein Hänfling und der Meister sagte, ich hätte lieber Schneider werden sollen, da die Karossenbauarbeit ohne Motorenhilfe schwer war. Es dauerte aber nicht lange, da konnte er sehen dass ich genug schaffen konnte.

 

Es verging ein Jahr, da hatten wir eine Lehrlingsausstellung. Ich stellte einige Wagenteile her und bekam ein Diplom und ein Buch dafür. Leider ging beides im Laufe der Jahre verloren.

In der Lehrzeit verdiente ich mir meine Kleidung selbst mit etwas extra Arbeit nach Feierabend.

   

Wanderjahre

 

Als ich meine Lehrzeit überstanden hatte, blieb ich den Winter über noch bei meinem Lehrmeister und im Frühjahr 1882, 10 Tage vor Ostern ging ich auf die Walz.

Mein Lehrmeister sagte, dass ich gerne noch bis Pfingsten bleiben könnte, aber ich wollte lieber in die Welt hinaus.

Als Geselle bekam ich beim Lehrmeister 3 Mark und Verpflegung in der Woche.

 

Ich ging erst nach Leipzig, von dort aus nach Halle an der Saale und weiter nach Aken an der Elbe und setzte über die Elbe um weiter nach Zerbst zu wandern. Vor Zerbst bekam ich Arbeit in einem kleinen Dorf, wo ich bis nach Pfingsten (nicht Ostern) blieb und 4 Mark in der Woche bekam. Doch ich wollte mich dort nicht länger aufhalten, weil eine so kleine Stadt mich nicht interessierte.

So wanderte ich weiter nach Zerbst, wo ich Arbeit bekam. Es war eine gute Werkstatt und die Kost war gut, aber die Wagen, die dort hergestellt wurden waren nicht die Schlechtesten. Aber das Schlimmste, was ich nicht leiden konnte war des Meisters hässliche Behandlung seiner Frau. Kinder hatten sie keine.

 

Nach 14 Tagen reiste ich weiter nach Magdeburg, Braunschweig und von dort nach Hildesheim, wo ich Arbeit fand.

Ich war dort ein Jahr bei einem Karossenbauer, später in einer kleinen Wagenfabrik. Die Fabrik gehörte einem Schmid. Der Karossenbauer, der den Wagenbau verstand war Rheinländer. Hier wurden schönere Wagen gebaut.

Der Rheinländer war ein tüchtiger Mann und ich war jung und musste noch viel lernen. Wir bauten damals Landauer.

 

(*Anmerkung:  Ein Landauer ist eine viersitzige und vierrädrige Kutsche mit einem meist in der Mitte geteilten, klappbaren Verdeck. Es handelt sich um eine sog. „konvertible“ Kutsche, d. h. sie lässt sich von einem offenen in einen vollständig geschlossenen Wagen umwandeln.

Der Verdecktyp ist mindestens seit dem 17. Jahrhundert bildlich belegt. Durch die Verbindung mit der Federung der halboffenen Berline, vor dem 18. Jahrhundert mutmaßlich in Frankreich entwickelt, wurde der Landauer im 18. und 19. Jahrhundert in allen europäischen Ländern zum bevorzugten Reisewagen und Statussymbol der begüterten Kreise.
Vom Landauer abgeleitet ist die Bauform des Landaulet, bei dem nur die hintere Hälfte des Verdecks zu öffnen ist. Quelle: Wikipedia)

 

Der Fabrikant hatte oft merkwürdige Ideen. Wir sollten einen Wagen bauen, wo die Vorderräder höher sein sollten als die Hinterräder. Da der fertige Wagen nicht so gut aussah, nahm er einen Hammer und schlug ihn in Stücke. So zerstörten wir beide unsere Arbeit.

  

Spät im Herbst wanderte ich nach Dresden, erreichte aber nur die kleine Stadt Dahlen, wo ich Arbeit bei einem Meister bekam. Seine beiden Söhne waren mit in der Werkstatt und hier wurde ein gutes Stück Arbeit praktiziert. Hier arbeitete ich bis März 1883. Dann beschloss ich, dass ich nach Schleswig-Holstein möchte und wanderte fast vier Wochen. Als ich nach Flensburg kam, fand ich Arbeit in der Herzoglichen Wagenfabrik bei Wagenbauer Schröder auf dem Holm.

(*Anmerkung d.Verfassers: Herzogliche Wagenfabrik Schröder habe ich nicht gefunden. Siehe auch Link:

http://www.tradition-fahrkunst.de/wagenbauerliste.php).

Hier arbeitete ich von April bis Juli und beschloss dann nach Dänemark zu reisen.

 

Ein Ordnungsmensch  

 

So ging es weiter auf Schusters Rappen von Flensburg nach Tingleff über Rapstedt nach Lögumkloster, wo ich Arbeit beim Dänen, Wagenbauer Matzen bekam.Er hatte einen Geselle aus Kopenhagen. Ich konnte nicht ein Wort dänisch. Aber ich dachte nur an die Arbeit, doch in der Werkstatt war eine furchtbare Unordnung.

 

Den ersten Sonntag benutzte ich um aufzuräumen, es war wie ein Garten voll mit Unkraut. Später erfuhr ich, das der Meister gesagt haben soll der Sachse will gerne Ordnung in den Sachen haben. Dafür brauchte ich den ganzen Sonntag. Ich bekam sehr gute Kost beim Meister. In der Werkstatt wurden nur Luxuswagen gebaut. Der Lohn war 6 Mark in der Woche plus Kost und Logie. Hier began ich den 07.Juli 1883. * evtl.1885 ?

(*Anmerk. Es muss ca. 1885 gewesen sein, da er fast 2 Jahre in Hildesheim beschäftigt war).

 

Ein Schmidemeister aus Lögumkloster bestellte immer Wagenmacherabeit bei Matzen. So lernten wir uns kennen. Mit der Zeit lernte ich die Menschen kennen, auch die dänischen Mädchen. Mit dem Kopenhagener ging ich oft aus; er konnte nicht ein Wort deutsch und ich kein Wort dänsich, aber da war auch ein Lehrling aus Lögumkloster, der beide Sprachen konnte und übersetzte.

 

Als ich 14 Tage gearbeitet und den Lohn mit dem Meister abgesprochen hatte, lies ich meine schönen Sachen von Hildesheim kommen, wo ich knapp zwei Jahre gearbeitet hatte. Unter anderem hatte ich einen maßgeschneiderten Anzug aus sehr feinen Stoff. Nun konnte ich mich zeigen. In der Apotheke in Lögumkloster war ein Provisor, ein Landsmann von mir; wir wurde gute Freunde. Bald kannte ich alle aus Lögumkloster.

Auch die jungen Damen lernte ich kennen. Zu Matzen kam oft ein Fräulein, welches gut befreundet war mit Frau Matzen. Aber ich wusste nicht wie sie hieß. Ich traf sie oft nach Feierabend, auch am Sonntag, wenn wir alle zusammen waren. Mit der Zeit bekam ich zu wissen wie sie hieß und wer ihr Vater war. Er war Kirchendiener und Nachtwächter und hieß Carsten Andersen. Sie hieß Anna Andersen.

Durch sie erfuhr ich, das der Meister sehr zufrieden mit mir war. Ich wollte auch gerne dänisch lernen. Ich hatte von Juli 1885 bis spät in den Herbst 1885 gearbeitet. Nun gab es nicht mehr viel zu tun und ich könnte wieder auf Wanderschaft gehen.

 

Schließlich bekam ich im Herbst, vielleicht im Oktober 1883 (1885*siehe Anmerkung weiter oben ) einen Brief vom Wagenfabrikant aus Hildesheim. Er fragte, ob ich nicht Lust hätte wieder zurück zu kommen. Er will mir so und so viel Lohn geben. Da sagte ich zum Matzen das ich in 14 Tagen nach Hildesheim reisen werde wenn er nicht meinen Wochenlohn erhöht. Er legte eine Mark drauf und so blieb ich noch bis zum nächsten Jahr.

Aber wie vorher gesagt, es war nicht mehr so viel zu tun. Ich schrieb zur Wagenfabrik Jensen in Hojer und bekam die Antwort, dass ich sofort kommen kann. 14 Tage später fuhr ich nach Hojer, doch ich durfte regelmässig am Sonntag nach Lögumkloster, da ich ja nun meine Liebste Anna Andersen hatte.

 

Einmal im Frühjahr des Folgejahres bekam ich einen Brief von ihr, einen besonderen Brief. Sie erzählte, das der Schmid Müller, welcher immer seine Wagenarbeiten beim Matzen machen ließ, sich mit Matzen gestritten hatte. Der Grund war Müllers Siberhochzeit, zu welcher Matzen nicht eingeladen wurde weil er Däne war. Matzen soll gesagt haben, das er lieber die 1300 Mark hätte bezahlen sollen anstatt eine so große Silberhochzeit auszurichten. Müller war Deutscher. Nun hatte er beschlossen eine Wagenbauwerkstatt zu bauen, aber er hatte niemanden, der die anfallende Arbeit hätte erledigen können.